Referenzarchitekturen

Was sind Referenzarchitekturen und wozu dienen sie?

Strukturierte Planung für komplexe Systeme

Referenzarchitekturen sind wie detaillierte Blaupausen oder Baupläne für die Entwicklung von cyber-physischen Systemen (CPS). Sie bieten einen strukturierten Rahmen, der die verschiedenen Komponenten eines CPS – von Sensoren und Aktoren in der physischen Welt bis hin zu Softwareanwendungen und Cloud-Diensten in der IT-Welt – und deren komplexe Beziehungen zueinander darstellt. Stell dir vor, du baust ein hochmodernes Smart Home: Eine Referenzarchitektur würde dir helfen zu verstehen, wie die Heizungssteuerung, die Beleuchtung, die Sicherheitssensoren und die Steuerungs-App auf deinem Smartphone logisch miteinander verbunden sind und zusammenarbeiten. Dies erleichtert die Konzeption und das Design solcher Systeme erheblich.

Einheitliche Standards für reibungslose Zusammenarbeit

Ein wesentlicher Nutzen von Referenzarchitekturen liegt in der Förderung von Interoperabilität. Sie definieren gemeinsame Sprachen, Schnittstellen und Modelle, sodass Komponenten und Systeme verschiedener Hersteller besser zusammenarbeiten können. Das ist vergleichbar mit Bausteinen unterschiedlicher Hersteller, die dank eines gemeinsamen Standards (z.B. LEGO-Noppen) trotzdem perfekt zueinander passen. In der Industrie 4.0, wo Maschinen, Software und Systeme vieler verschiedener Anbieter vernetzt werden, ist diese Herstellerunabhängigkeit entscheidend. Referenzarchitekturen helfen dabei, Standardisierungsbedarfe zu identifizieren und zu adressieren.

Effiziente Kommunikation in interdisziplinären Teams

Die Entwicklung von cyber-physischen Systemen erfordert oft die Zusammenarbeit von Expert:innen aus sehr unterschiedlichen Disziplinen – Maschinenbau, Elektrotechnik, Informatik, Betriebswirtschaft etc. Eine Referenzarchitektur dient hier als gemeinsame Verständigungsgrundlage. Ähnlich wie bei einem großen Bauprojekt, wo Architekt:innen, Statiker:innen und Handwerker:innen alle denselben Bauplan nutzen, um ihre Arbeit zu koordinieren, vereinfacht eine Referenzarchitektur die Kommunikation und Abstimmung in interdisziplinären Projektteams und hilft, Missverständnisse zu vermeiden.

Welche wichtigen Referenzarchitekturen gibt es?

Die klassische 3-Schicht-Architektur

Eine grundlegende und oft als Basis dienende Sichtweise ist die 3-Schicht-Architektur. Sie unterteilt ein System typischerweise in:

  1. Physische/Edge-Schicht: Hier befinden sich die physischen Komponenten wie Sensoren (die Daten aus der realen Welt erfassen, z.B. Temperatur, Bewegung) und Aktoren (die Aktionen in der realen Welt ausführen, z.B. einen Motor starten, ein Ventil öffnen).
  2. Kommunikations-/Netzwerk-Schicht: Diese Schicht ist verantwortlich für die Datenübertragung zwischen der physischen Schicht und der Anwendungsschicht. Sie umfasst Netzwerkprotokolle und -infrastruktur.
  3. Anwendungs-/Informations-Schicht: Hier werden die Daten verarbeitet, analysiert, gespeichert und für Anwendungen oder Benutzer:innen bereitgestellt.

Stell dir ein einfaches Smart-Home-System vor: Ein Temperatursensor (Physische Schicht) sendet Daten über WLAN (Kommunikationsschicht) an eine App (Anwendungsschicht), die dir die Temperatur anzeigt und es dir erlaubt, die Heizung zu steuern.

Moderne 5-Schicht-Modelle

Für komplexere cyber-physische Systeme, insbesondere im Kontext von Industrie 4.0 und dem Internet der Dinge (IoT), reichen drei Schichten oft nicht aus, um die anfallende Datenverarbeitung und -analyse adäquat abzubilden. Daher wurden 5-Schicht-Modelle entwickelt, die eine feinere Granularität bieten. Eine gängige Gliederung ist:

  1. Smart Connection / Edge Layer (Geräteschicht): Direkte Anbindung und Steuerung der physischen Geräte (Sensoren, Aktoren), erste Datenfilterung und -aggregation direkt an der "Kante" (Edge) des Netzwerks.
  2. Data Conversion / Platform Layer (Plattformschicht): Umwandlung der Rohdaten in einheitliche Formate, Datenmanagement und -speicherung, oft auf lokalen Servern oder Edge-Plattformen.
  3. Cyber / Service Layer (Diensteschicht): Detaillierte Analyse der gesammelten Informationen, Erstellung von Modellen (z.B. Digitale Zwillinge), Simulationen und Bereitstellung von Diensten.
  4. Cognition / Application Layer (Anwendungsschicht): Hier findet die eigentliche "Intelligenz" statt – Wissensgenerierung aus den analysierten Daten, Unterstützung von Entscheidungsfindung, Visualisierung und Steuerung durch Anwendungen.
  5. Configuration / Business Layer (Geschäftsschicht): Definition von übergreifenden Geschäftsregeln, Konfiguration des Gesamtsystems und Anbindung an unternehmensweite Geschäftsprozesse (z.B. ERP-Systeme).

Ein Beispiel wäre eine vernetzte Produktionsanlage, die nicht nur lokal gesteuert wird, sondern deren Daten auch für vorausschauende Wartung (Predictive Maintenance) und die Optimierung der gesamten Lieferkette genutzt werden.

RAMI 4.0 (Reference Architecture Model Industrie 4.0)

RAMI 4.0 ist ein dreidimensionales Modell, das speziell für die Anforderungen der Industrie 4.0 entwickelt wurde. Es strukturiert die Diskussion über Industrie 4.0-Lösungen, indem es eine gemeinsame Landkarte bietet. Die drei Achsen sind:

  • Hierarchy Levels (Hierarchieebenen): Bildet die Ebenen einer Fabrik ab, von einzelnen Produkten über Maschinen und Produktionslinien bis hin zum vernetzten Unternehmen und der globalen Lieferkette.
  • Life Cycle & Value Stream (Lebenszyklus & Wertstrom): Beschreibt den gesamten Lebenszyklus von Produkten und Anlagen, von der Entwicklung über die Produktion bis zur Entsorgung, sowie die damit verbundenen Wertschöpfungsprozesse.
  • Layers (Schichten): Definiert sechs Interoperabilitätsschichten (Business, Functional, Information, Communication, Integration, Asset), die sicherstellen, dass alle Komponenten auf verschiedenen Ebenen miteinander kommunizieren und zusammenarbeiten können.

Stell dir RAMI 4.0 wie ein komplexes 3D-Koordinatensystem vor, in dem jede Komponente und jeder Prozess einer Industrie 4.0-Lösung eindeutig verortet werden kann.

IIRA (Industrial Internet Reference Architecture)

Die IIRA wurde vom Industrial Internet Consortium (IIC) entwickelt und bietet einen allgemeinen Rahmen für Systeme des industriellen Internets der Dinge (IIoT). Sie ist weniger auf spezifische Produktionsszenarien fokussiert als RAMI 4.0 und legt einen starken Schwerpunkt auf übergreifende funktionale Domänen und deren Interaktion. IIRA betrachtet ein IIoT-System aus verschiedenen Blickwinkeln (Viewpoints), wie dem Business Viewpoint (Geschäftssicht), Usage Viewpoint (Nutzungssicht), Functional Viewpoint (Funktionssicht) und Implementation Viewpoint (Implementierungssicht). Stell dir IIRA wie ein modulares Baukastensystem vor, das verschiedene Perspektiven und funktionale Blöcke bereitstellt, um komplexe IIoT-Lösungen zu entwerfen und zu beschreiben.

Wie verbinden Referenzarchitekturen die physische Welt mit der IT?

Sensorik und Aktorik als Brücke

Die grundlegende Verbindung zwischen der physischen Welt und den IT-Systemen wird durch Sensoren und Aktoren hergestellt.

  • Sensoren sind die "Sinnesorgane" des cyber-physischen Systems: Sie erfassen physikalische Größen wie Temperatur, Druck, Position, Licht oder Beschleunigung und wandeln diese in digitale Signale um, die von IT-Systemen verarbeitet werden können. Ein Thermostat in einem Raum misst mit einem Sensor die Temperatur.
  • Aktoren sind die "Muskeln" des Systems: Sie setzen digitale Befehle aus der IT-Welt in physische Aktionen um, z.B. das Einschalten einer Heizung, das Bewegen eines Roboterarms oder das Öffnen eines Ventils. Das Thermostat sendet ein Signal an den Aktor der Heizung, um diese zu aktivieren.

In Referenzarchitekturen sind Sensoren und Aktoren typischerweise in der untersten, physischen Schicht (oder Edge-Schicht) angesiedelt.

Digitale Zwillinge: Virtuelle Spiegelbilder der Realität

Ein Digitaler Zwilling ist ein detailliertes virtuelles Abbild eines physischen Objekts, Prozesses oder Systems. Dieser Zwilling wird kontinuierlich mit Echtzeitdaten von den Sensoren des physischen Gegenstücks gespeist und kann dessen Zustand, Verhalten und Leistung simulieren, analysieren und vorhersagen. Stell dir vor, von einer komplexen Windkraftanlage existiert ein exaktes digitales Modell auf einem Server. Dieses Modell zeigt nicht nur den aktuellen Betriebszustand (Drehzahl, Energieerzeugung), sondern kann auch simulieren, wie sich die Anlage bei unterschiedlichen Windverhältnissen verhalten wird oder wann die nächste Wartung fällig ist. Digitale Zwillinge ermöglichen es, Optimierungen virtuell zu testen, bevor sie in der realen Welt umgesetzt werden, und unterstützen eine effiziente Überwachung und Steuerung.

Verwaltungsschalen (Asset Administration Shell): Der standardisierte Datenstecker

Die Verwaltungsschale (im Kontext von RAMI 4.0 oft als Asset Administration Shell, AAS, bezeichnet) ist ein Konzept zur standardisierten digitalen Repräsentation von physischen und nicht-physischen "Assets" (also Maschinen, Komponenten, Produkte, aber auch Software oder Prozesse). Sie dient als standardisierte Schnittstelle, über die alle relevanten Informationen und Funktionen eines Assets zugänglich gemacht werden – unabhängig vom Hersteller oder der zugrundeliegenden Technologie des Assets selbst. Stell dir die Verwaltungsschale wie einen universellen USB-Anschluss für Industrieanlagen vor: Egal, von welchem Hersteller die Maschine stammt, über ihre Verwaltungsschale kann sie einheitlich identifiziert, ihre Daten (z.B. Seriennummer, Wartungshistorie, aktuelle Betriebsparameter) abgerufen und ihre Funktionen (z.B. Starten, Stoppen) gesteuert werden. Dies ist ein Schlüsselelement für die Interoperabilität in Industrie 4.0-Umgebungen.

Lernziele

  • den praktischen Nutzen von Referenzarchitekturen für die Konzeption und Implementierung von cyber-physischen Systemen interpretieren, indem analysiert wird, wie sie als strukturierender Rahmen für Designentscheidungen, zur Gewährleistung von Interoperabilität zwischen Komponenten verschiedener Hersteller, zur Identifikation von Standardisierungsbedarfen und zur Vereinfachung der Kommunikation in interdisziplinären Projektteams bei der Entwicklung von CPS-Lösungen dienen.
  • die wichtigsten Referenzarchitekturen für cyber-physische Systeme erklären, indem die klassische 3-Schicht-Architektur, moderne 5-Schicht-Modelle sowie Industriestandards wie RAMI 4.0 und IIRA hinsichtlich ihrer Struktur, Zielsetzung und Anwendungsbereiche systematisch dargestellt werden.
  • die konzeptionelle Darstellung der Verbindung zwischen physischer Welt und IT-Systemen in Referenzarchitekturen erklären, indem die Abbildung von Sensorik/Aktorik, Kommunikationsschichten und Anwendungsebene in den Modellen erläutert und die Rolle von digitalen Zwillingen und Verwaltungsschalen (z.B. Asset Administration Shell in RAMI 4.0) beschrieben wird.

Genug gelesen? Zeit, es wirklich zu können!

Die Theorie aus diesem Artikel ist die perfekte Basis. In der asyoube Lernplattform wendest du dieses Wissen an, bekommst persönliches Feedback und bereitest dich interaktiv auf deine Ausbildung oder deine Prüfungen vor.

Für Ausbilder & Unternehmen

Möchten Sie Ihr gesamtes Team mit asyoube ausbilden? Entdecken Sie unsere B2B-Lösung mit einfacher Verwaltung, Fortschritts-Tracking für Ihre Azubis und attraktiven Team-Preisen.